Berichte
Gohrisch 2023: Im Zeichen des Friedens
Mit einem Konzert des ukrainischen Mriya Quartetts unter Mitwirkung der ebenfalls aus der Ukraine stammenden Pianistin Kateryna Titova sind am Sonntag, den 25. Juni 2023, die 14. Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch zu Ende gegangen. Auf dem Programm des bewegenden Abschlusskonzerts standen neben dem Klavierquintett von Robert Schumann drei Werke ukrainischer Komponisten: Streichquartette von Vasyl Barvinsky und Vitaliy Hubarenko sowie die Melodie für Streichquartett von Myroslav Skoryk. Mit der Einladung des Mriya Quartetts wollten die Schostakowitsch-Tage auch ein Zeichen für die Bewahrung der bedrohten ukrainischen Kultur setzen.
Tobias Niederschlag, der Künstlerischer Leiter der Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch konnte am Ende des im In- und Ausland vielbeachteten Festivals zufrieden bilanzieren: „Die vergangenen vier Tage erfüllen mich mit großer Dankbarkeit. Da sind zum einen unvergessliche Konzerte, die uns die beteiligten Künstlerinnen und Künstler im wahrsten Sinne des Wortes geschenkt haben. Und zum anderen unser einzigartiges Publikum in der Gohrischer Konzertscheune, das sich jedes Jahr von Neuem mit beeindruckender Neugierde und Begeisterungsfähigkeit auf anspruchsvolle, teils sogar sperrige Programme einlässt, die in dieser Form nur in Gohrisch zu erleben sind. Dies ist ein Alleinstellungsmerkmal für unser Festival. Mit großer Vorfreude schauen wir schon jetzt nach vorn und freuen uns auf die 15. Internationalen Schostakowitsch Tage im kommenden Jahr, die wieder – dies sei schon einmal verraten – Unbekanntes aus der Feder von Schostakowitsch bereithalten werden.“
Zu den weiteren Protagonisten des Festivals zählten das Quatuor Danel, der Geiger Vadim Gluzman, der Cellist Isang Enders, die Pianisten Angela Yoffe und Boris Giltburg – beide erstmalig in Gohrisch zu Gast – sowie Yulianna Avdeeva, die an gleich drei Festivalkonzerten mitwirkte. Sie zählte zu Künstlern des Eröffnungskonzerts in der Gohrischer Konzertscheune, gestaltete einen Klavierabend und war zudem Solistin beim Orchesterkonzert mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden und Mitgliedern des Gustav Mahler Jugendorchesters unter der Leitung von Oscar Jockel am Vormittag des 25. Juni.
Der Schostakowitsch-Preis des Festivals wurde in diesem Jahr an den bedeutenden polnischen Komponisten, Schostakowitsch-Biografen und Ehrenpräsidenten der Deutschen Schostakowitsch Gesellschaft Krzysztof Meyer verliehen.
Sechs Konzerte und eine Filmvorführung standen während der vergangenen vier Tage auf dem Festivalprogramm. Mit gut 3.000 verkauften Karten lag die Auslastung bei über 80 Prozent und verzeichnete einen Zuwachs im Vergleich zum letzten Jahr von mehr als zehn Prozent.
- Die 15. Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch finden vom 27. bis 30. Juni 2024 statt.
Gohrisch 2022: Ein künstlerisch herausragender Jahrgang
Mit einem Duorezital der Sopranistin Viktoriia Vitrenko und des Pianisten Alexei Lubimov endeten am Sonntagnachmittag (3. Juli 2022) die 13. Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch. Auf dem Programm des Rezitals standen die Impromptus op. 90 von Franz Schubert, eine Auswahl seiner Klavierlieder sowie der Liederzyklus „Stufen“ des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov. Das gleiche Programm hatte Alexei Lubimov vor wenigen Wochen in Moskau schon aufführen wollen, wurde dann aber von der russischen Polizei während des Konzerts zum Abbruch genötigt – unter dem fadenscheinigen Vorwand einer Bombendrohung.
Valentin Silvestrov war Ehrengast der diesjährigen Schostakowitsch Tage und wurde am Samstag mit dem Internationalen Schostakowitsch Preis ausgezeichnet. Im Rahmen dieser Veranstaltung trat er auch als Interpret eigener Klavierwerke in Erscheinung. Tobias Niederschlag, Künstlerischer Leiter der Schostakowitsch Tage, hob in seiner Laudatio die „Freiheit des Geistes“ in der Musik Silvestrovs hervor und bescheinigte dem Komponisten eine „emotionale Unmittelbarkeit“ in seinen Werken, die ihn – bei allen Unterschieden – mit Schostakowitsch verbinde.
Sieben Konzerte und eine Filmvorführung umfasste das diesjährige Festivalprogramm in der Gohrischer Konzertscheune. Mehrere Ur- und Deutsche Erstaufführungen erklangen während der vier Festivaltage. Darunter Schostakowitschs Hymne „Ruhm den Schiffbauern“ für gemischten Chor a cappella, die erstmals in einem öffentlichen Konzert erklang. Nahezu 3000 Karten wurden für alle Veranstaltungen verkauft. Zu den Protangonisten zählten u. a. die Pianistinnen Elisaveta Blumina und Yulianna Avdeeva, der Geiger Vadim Gluzman und das junge Eliot Quartett. Auch die Sächsische Staatskapelle Dresden, im Jahr 2010 Mitinitiatorin des Festivals, war erneut in Gohrisch zu erleben: in Orchesterformation unter der Leitung von Dmitri Jurowski wie auch mit einzelnen Mitgliedern in verschiedenen Kammerkonzerten. Dmitri Jurowski hatte die Leitung der Aufführungsmatinee mit der Staatskapelle für seinen im März verstorbenen Vater Michail übernommen. Umrahmt wurde das Programm von einer Fotoausstellung des Dresdner Fotografen Matthias Creutziger, der die Schostakowitsch Tage von Anbeginn begleitet hat.
Tobias Niederschlag, Künstlerischer Leiter der Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch: „Wir sind überglücklich darüber, dass die Schostakowitsch Tage nach zwei schwierigen Pandemiejahren nun endlich wieder an ihrem Ursprungsort in Gohrisch haben stattfinden können. Wir haben einen künstlerisch herausragenden Jahrgang erlebt, der vom Publikum entsprechend begeistert aufgenommen wurde. Mit einer Auslastung von ca. 70 % sind wir angesichts der allgemeinen Publikumszurückhaltung überaus zufrieden und davon überzeugt, in den kommenden Jahren auch wieder Auslastungen jenseits der 90 % erreichen zu können. Unser Dank gilt daher unserem treuen Stammpublikum, aber auch all unseren Sponsoren und Unterstützern, ohne die dieses wunderbare Festival nicht würde stattfinden können.“ Matthias Claudi
- Die 14. Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch finden vom 22. bis 25. Juni 2023 statt.
Gohrisch 2019: Absolut umwerfend
Die Schostakowitsch Tage Gohrisch sind immer für Überraschungen gut. Dass dort inmitten einer traumhaft schönen Landschaft in schönster Regelmäßigkeit neu entdeckte Werke des russischen Jahrhundertkomponisten aus der Taufe gehoben werden – daran hat man sich beinahe schon gewöhnt. In diesem Jahr waren es das bezaubernde Jugendwerk „Im Wald“ des gerade mal 13-jährigen angehenden Kompositionsschülers, sowie zwei Romanzen, die wohl für den Film „Belinskij“ aus dem Jahr 1950 gedacht waren, aber keine Gnade vor Stalins Kulturaufsehern fanden. Sie verschwanden in irgendwelchen Moskauer Archiven, wo sie kürzlich von der russischen Musikwissenschaftlerin Olga Digonskaya aufgefunden wurden. Doch damit nicht genug: Zum zehnten Jubiläum des Festivals hatten dessen Leiter Tobias Niederschlag und sein Team noch einige weitere „Schmankerl“ in ein höchst ambitioniertes Programm eingewoben, das mit Dmitri Schostakowitsch, Serge Prokofjew und Igor Strawinsky die „Großen Drei“ der russischen Musik des 20. Jahrhunderts exponierte. So erklang mit der Suite für Varieté-Orchester Schostakowitschs vermutlich bekanntester Gassenhauer – der Walzer Nr. 2 – endlich auch einmal in der Konzertscheune. Außerdem gab es ein Dankeschön-Konzert bei freiem Eintritt für alle Gohrischer*innen, die ihr Festival seit mittlerweile einem Jahrzehnt auf alle erdenkliche Art und Weise unterstützen. Und schließlich kulminierte das auf vier Tage und acht Konzerte ausdehnte Jubiläumsprogramm in Improvisationen über Schostakowitschs 1960 im damaligen Gästehaus des DDR-Staatsrats geschriebenes achtes Streichquartett mit der Freejazz-Legende Günter Baby Sommer am Schlagwerk und seinem Partner Johannes Enders am Saxophon. Absolut umwerfend! Ach ja: Und wo, außer in dem kleinen Luftkurort nahe der tschechischen Grenze, bekommt man schon die Gelegenheit, mit Andris Nelsons einen der bedeutendsten Dirigenten der Gegenwart an der Trompete zu erleben? ►
Gohrisch 2018: Mehr Verbindendes als Trennendes
Kann ein Musikfestival, das alljährlich das Werk eines bedeutenden Komponisten exponiert und künstlerische oder persönliche Querverbindungen zu Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Epochen und Stilrichtungen nachspürt, den Charme seiner Gründungsidee nicht nur konservieren, sondern stetig weiterentwickeln? Und damit die mittlerweile recht hohen Erwartungen seiner Besucher nicht nur erfüllen, sondern fast schon regelmäßig übertreffen? Antwort: Aber sicher – jedenfalls dann, wenn es so intelligente und innovative Programmplaner, sowie ein derart hochmotiviertes Helferteam hat wie die Schostakowitsch Tage Gohrisch. „Schostakowitsch und die polnische Moderne“ war das Motto des diesjährigen Festivals, das vom 22. bis 24. Juni wieder gut und gerne 3000 Musikliebhaber in den idyllischen Kurort in der Sächsischen Schweiz pilgern ließ. Ein Motto übrigens, das ganz wunderbar zum Thema der letzten beiden musikwissenschaftlichen Symposien der Deutschen Schostakowitsch Gesellschaft passte. Auch hierbei wurde das ambivalent-schwierige Verhältnis Schostakowitsch – musikalischen Avantgarde in den Fokus gerückt. Mehr ►
Gohrisch 2017: Ein hochintensives Musikwochenende
Fünf Ur- und deutsche Erstaufführungen an einem einzigen, musikalisch hochintensiven Wochenende: Die 8. Internationalen Schostakowitsch Tage in Gohrisch hatten für die nahezu 3000 Besucher aus aller Welt, die am letzten Juni-Wochenende in die Sächsische Schweiz strömten, viel Neues und Interessantes zu bieten. Das Festival rückte in diesem Jahr das Schaffen Sofia Gubaidulinas und Mieczysław Weinbergs ins Zentrum. Doch auch die Freunde der Musik Dmitri Schostakowitschs kamen nicht zu kurz. Einer der Höhepunkte war sicherlich die Uraufführung dreier erst vor zwei Jahren in einem Moskauer Archiv aufgefundener Fragmente aus der 1927/28 entstandenen Oper „Die Nase“, die seinerzeit von Schostakowitsch nicht in die endgültige Fassung aufgenommen worden waren. Lesen Sie hier unseren ausführlichen Festivalbericht: ►
Gohrisch 2016: Große kompositorische Qualität und schöpferische Eigenständigkeit
Mit einem denkwürdigen Konzert wurden am 24. Juni 2016 die siebten internationalen Schostakowitsch Tage in Gohrisch eröffnet. Dass es keineswegs „ein verflixtes siebtes Jahr" sein würde, wusste Tobias Niederschlag, der künstlerischer Leiter des Festivals, in seiner Begrüßungsansprache zu berichten. Schon der Vorverkauf habe gezeigt, wie groß das Interesse an den Gohrischer Musiktagen 2016 ist. Und das, obwohl die Festivalmacher in diesem Jahr durchaus ein Wagnis eingegangen sind, indem sie neben Schöpfungen von Schostakowitsch und Beethoven, Werke des einstigen DDR-Vorzeigekomponisten Hanns Eisler zum Programmschwerpunkt des Festivals erkoren. Im Eröffnungskonzert mit dem begeisternd aufspielenden Quatuor Danel hatte es Hanns Eislers Streichquartett op. 75 nicht leicht, musste es sich doch gegenüber zwei ausgewiesenen Schwergewichten der Kammermusikliteratur – Beethovens Streichquartett Nr. 13 B-Dur op. 130 mit „Großer Fuge“ B-Dur op 133 und Schostakowitschs letztem Beitrag zu diesem Genre, dem Streichquartett Nr. 15 es-Moll op. 144 – behaupten. Gleichwohl zeigte es sich, dass Eislers einzigem Beitrag zur kammermusikalischen Königsdisziplin große kompositorische Qualität und schöpferischere Eigenständigkeit innewohnt. Höchste Zeit also, sich wieder etwas intensiver mit dem Œuvre des Schönberg-Schülers zu beschäftigen. Die Schostakowitsch Tage Gohrisch 2016 boten hierzu ausgiebig Gelegenheit. Einen ausführlichen Bericht über das Festival finden Sie hier ►
Humanistische Grundüberzeugung
Drei Komponisten, die im weitläufigen Sinne – eben auch – politische Künstler waren, standen im Mittelpunkt der 7. Schostakowitsch Tage Gohrisch 2016: Ludwig von Beethoven, Hanns Eisler und Dmitri Schostakowitsch. So groß die ästhetischen, biografischen und rezeptionsgeschichtlichen Unterschiede zwischen den drei Künstlerpersönlichkeiten auch sein mögen, eint sie doch eine zutiefst humanistische Grundüberzeugung, die ihren Werken eingeschrieben ist. Dieser nachzuspüren hatten die Festivalbesucher nicht nur bei den insgesamt sechs annähernd ausverkauften Konzerten Gelegenheit, sondern auch bei einem außergewöhnlich gut besuchten musikwissenschaftlichen Vortrag der renommierten Eisler-Expertin Friederike Wißmann, Professorin an der Universität Bonn, und einer sich anschließenden Podiumsdiskussion, die Tobias Niederschlag, der künstlerische Leiter der Schostakowitsch Tage moderierte. Friederike Wißmann, der polnische Komponist, Schostakowitsch-Biograph und Präsident der Deutschen Schostakowitsch Gesellschaft Krzysztof Meyer, der Publizist und Schostakowitsch-Experte Bernd Feuchter, sowie der Konzertpianist Peter Rösel setzten sich hierbei mit dem Thema „Schostakowitsch und Eisler. Komponieren im Schatten des Eisernen Vorhangs“ auseinander. Mehr: ►
Kunstgenuss und Naturerlebnis in Gohrisch
„Die Landschaft ist unerhört schön“, schwärmte Dmitri Schostakowitsch in einem Brief an seinen Freund Isaak Glikman. Zweimal weilte der russische Komponist in Gohrisch, einem kleinen Kurort in der Sächsischen Schweiz. Bei seinem ersten Aufenthalt im Jahr 1960 komponierte er dort sein 8. Streichquartett. Seit 2010 pilgern die Freunde der Musik des großen Russen alljährlich nach Gohrisch, um den weltweit einzigen, regelmäßig stattfindenden Schostakowitsch-Festival beizuwohnen. Karlheinz Schiedel beschwört in einer Reisereportage den Genius Loci, wo Kunstgenuss und Naturerlebnis eine fast schon symbiotische Beziehung eingehen. ►
Der Artikel erschien in leicht gekürzter Form in der Badischen Zeitung, Freiburg ►
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