Deutsche Schostakowitsch Gesellschaft e.V.

Dmitri Schostakowitsch, 25. September 1906  ─  9. August 1975

Nachrichten aus dem Jahr 2022


Konzerthaus Berlin:

Eine Hommage an Dmitri Schostakowitsch

Das Konzerthaus Berlin veranstaltet vom 14. bis 27. März eine große Hommage an Dmitri Schostakowitsch. Diese hat eine einzigartige Vorgeschichte: Kurt Sanderling – 1960 bis 1977 Chefdirigent des damaligen Berliner Sinfonie-Orchesters (BSO) und heutigen Konzerthausorchesters Berlin – verband mit dem großen russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts seit der gemeinsamen Leningrader Zeit in den 1940er Jahren eine selbst unter lebensbedrohlichen Bedingungen immer von enormem Vertrauen geprägte Künstlerfreundschaft. Aus der Ära Sanderling stammen legendäre Schostakowitsch-Aufnahmen mit dem Berliner Sinfonie-Orchester. An ihnen ist nachvollziehbar, wie sich der intensive Austausch von Chefdirigent und Komponist auf Spielweise und Klangkultur des Orchesters ausgewirkt hat. Schostakowitsch wurde Teil seiner musikalischen Identität – ein Erbe, das bis heute höchst geschätzt und weitergegeben wird.

Berühmte Interpreten werden dabei einige der bekanntesten Werke Schostakowitschs aufführen, darunter sein Cellokonzert Nr. 1, seine Sinfonien Nr. 5, 7 und 8, die zweite Klaviersonate, die Cello-, Violin- und Bratschensonate, das Klaviertrio Nr. 2, das Klavierquintett und das Streichquartett Nr. 8. Eine Orgelstunde, ein Stummfilmabend „Das neue Babyon“ mit der live gespielten Original-Filmmusik Schostakowitschs und anderes mehr ergänzen das umfangreiche Programm. 



Frank Strobel stellt in Berlin seine Schostakowitsch-Fassung für den Stummfilmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“ vor

Tobende Gewalt und brütende Ruhe

Von Bernd Feuchtner

Da Dimitri Schostakowitsch ein versierter sowjetischer Filmkomponist war, liegt die Verbindung zwischen Sergej Eisenstein und ihm nahe. Es hat auch in Russland schon einen Versuch gegeben, dem Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ Musik von Schostakowitsch zu unterlegen – mit mäßigem Erfolg. Im Gegensatz zu „Alexander Newski“ und „Iwan der Schreckliche“, wo der Regisseur die Filmmusik mit Sergej Prokofjew gemeinsam entwickelte, wollte Eisenstein die musikalische Untermalung dieses Films über den Matrosenaufstand von 1905 vor Odessa dem jeweiligen Aufführungsort überlassen. In Moskau war das 1925 Musik von Tschaikowsky, Beethoven usw. Für die Berliner Erstaufführung 1926 schrieb Edmund Meisel eine Partitur, die vor einiger Zeit rekonstruiert und in Livekonzerten wieder aufgeführt wurde. Der renommierte und erfahrene Filmmusik-Dirigent Frank Strobel hatte eine eigene Idee: Er setzte eine neue Partitur zusammen, indem er dem Film über 100 Schnipsel aus den Schostakowitsch-Sinfonien Nr. 4, 5, 8, und 11 unterlegte. Die Elfte trägt die Revolution von 1905 ja schon im Titel und ist so illustrativ, dass sie sich von selbst anbietet. Für den Beginn wählte Strobel allerdings den Anfang der Vierten mit seinen drei gellenden Signalen und dem unbarmherzig stampfenden Tritt der Zeit – alarmierender hätte der Film nicht beginnen können. Mehr

13. Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch mit Musik ukrainischer Komponisten:

Schostakowitsch – Silvestrov – Gubaidulina

Schostakowitsch-Preisträger 2022: der ukrainische Komponist Valentin Silvestrov. Foto: © privat

Die Internationalen Schostakowitsch Tage widmen sich in ihrem 13. Jahrgang neben Werken aus der Feder ihres Namensgebers auch der Musik ukrainischer Komponisten. Die Festivalmacher reagieren damit auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, vor dessen Hintergrund auch die Musik von Dmitri Schostakowitsch wieder eine erschreckende Aktualität erlangt hat. Auf dem Programm stehen zahlreiche Werke des wohl bedeutendsten lebenden Komponisten aus der Ukraine, Valentin Silvestrov, der auch persönlich in Gohrisch erwartet wird: Der inzwischen 84-Jährige, der vor einigen Wochen aus Kiew nach Berlin geflüchtet ist, soll am 2. Juli 2022 den diesjährigen Schostakowitsch-Preis in Empfang nehmen. Bei dieser Gelegenheit wird er auch eigene Werke auf dem Klavier interpretieren. Darüber hinaus werden Silvestrovs 3. Streichquartett und seine 2 Elegien für Streichorchester bei den Schostakowitsch-Tagen zur Deutschen Erstaufführung gelangen. Auch der 2020 in der Ukraine entstandene Dokumentarfilm „V. Silvestrov“ wird bei dem Festival erstmals in Deutschland zu sehen sein. Zum Abschluss des Programms musizieren der Pianist Alexei Lubimov und die Sopranistin Viktoriia Vitrenko mit Werken von Silvestrov und Franz Schubert jenes Konzertprogramm, das vor wenigen Wochen von der Moskauer Polizei vorzeitig abgebrochen wurde. In Gohrisch soll das Programm nun vollständig erklingen. Neben der Musik von Valentin Silvestrov stehen im Eröffnungskonzert am 30. Juni 2022 auch Werke des ukrainischen Komponisten Yuri Povolotsky (Jahrgang 1962) auf dem Programm, darunter zwei Uraufführungen.

Neues von Dmitri Schostakowitsch

Von Dmitri Schostakowitsch wird in Gohrisch ebenfalls „Neues“ zu hören sein: Dmitri Jurowski bringt in einem Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle Dresden seine eigene Bearbeitung des Liederzyklus auf Gedichte von Marina Zwetajewa op. 143a zur Uraufführung. Außerdem stellt er erstmals eine erweiterte Konzertsuite der Schauspielmusik zu „Die menschliche Komödie“ op. 37 der Öffentlichkeit vor, die sein Vater Michail Jurowski eingerichtet hat. Michail Jurowski, der die Schostakowitsch-Tage in ihren ersten Jahren maßgeblich geprägt hat, starb im März 2022 in Berlin. Er sollte diesen Aufführungsabend ursprünglich leiten, der nun seinem Andenken gewidmet ist. Neben Werken von Schostakowitsch und Silvestrov umfasst das Programm auch einige Kompositionen von Sofia Gubaidulina. Die große russische Komponistin und Schostakowitsch-Preisträgerin 2017 feierte im vergangenen Herbst ihren 90. Geburtstag.

Gestaltet werden die Konzerte wieder von namhaften Künstler*innen: Die Pianistinnen Yulianna Avdeeva und Elisaveta Blumina sowie die Sopranistin Evelina Dobračeva kehren nach Gohrisch zurück. Zum ersten Mal sind der Geiger Vadim Gluzman, der Pianist Alexei Lubimov, die Sopranistin Viktoriia Vitrenko und der Dirigent Dmitri Jurowski in der Gohrischer Konzertscheune zu erleben. Außerdem sind mehrere Solisten aus den Reihen der Sächsischen Staatskapelle in die Kammerkonzerte eingebunden. Sämtliche Künstler*innen treten auch in diesem Jahr in Gohrisch ohne Honorar auf. Besonders eng ist die Zusammenarbeit in diesem Jahr mit der Sächsischen Staatskapelle und der Semperoper Dresden. Neben dem Sonderkonzert am Vorabend des Festivals (Dirigent: Omer Meir Wellber) findet im Festivalzeitraum auch die Premiere einer Neuproduktion der Schostakowitsch-Oper „Die Nase“ an der Semperoper statt (Dirigent: Petr Popelka), begleitet durch ein wissenschaftliches Symposium an der Dresdner Musikhochschule. Das Programm ist damit so vielfältig wie selten zuvor und spannt einen Bogen von der Klavier- und Kammermusik Schostakowitschs bis hin zur großen Symphonik und Oper. Einen Rückblick auf die ersten 12 Jahrgänge der Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch ermöglicht eine Fotoausstellung von Matthias Creutziger, der das Festival von Anfang an alljährlich begleitet hat.

„Nach zwei Jahren, in denen die Schostakowitsch-Tage pandemiebedingt virtuell bzw. mit einem Ausflug ins Festspielhaus Dresden-Hellerau stattgefunden haben, sind wir überaus glücklich, nun wieder nach Gohrisch zurückzukehren. Der Schwerpunkt mit Musik ukrainischer Komponisten, allen voran von Valentin Silvestrov, war uns angesichts des schrecklichen Krieges in der Ukraine ein großes Bedürfnis. Wir freuen uns sehr auf diesen großartigen Komponisten, der die gegenwärtige Musikkultur seines Landes repräsentiert wie kaum ein anderer.“
Tobias Niederschlag, Künstlerischer Leiter der Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch

Ein Zeugnis millionenfach vernichteten Lebens

Als 2007 der monumentale Roman „Leben und Schicksal“ des sowjetisch-jüdischen Schriftstellers Wassili Grossman erstmals vollständig in deutscher Übersetzung erschien, war von einem sensationellen literarischen Fund, ja von einem „Jahrhundertroman“ die Rede. Nun endlich liegt auch sein kaum weniger bedeutender Vorgängerroman mit dem Titel „Stalingrad“ in einer sorgfältigen Übertragung und annähernden Vollständigkeit auf Deutsch vor.

„Dieses Buch verdient die Aufmerksamkeit eines jeden Schostakowitsch-Freundes. Und lässt vielleicht auch dessen Musik besser verstehen. Auf jeden Fall hat Schostakowitsch Grossmans Kriegsberichte gelesen und ihn womöglich auch persönlich gekannt“, urteilt Bernd Feuchtner, Präsident der Deutschen Schostakowitsch Gesellschaft. Paul Ingendaay rezensiert das 1300 Seiten umfassende, lange Zeit unterdrückte und nur fragmentiert und zensiert veröffentlichte Werk in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.


Der junge Schostakowitsch und die Politik in seinen Briefen an Iwan Sollertinski

„Ach, das ist gut. Ich mag es. Das reduziert die Fettschicht.“

Am 2 Juli 2022 hatte an der Semperoper in Dresden Dmitri Schostakowitschs Opernerstling „Die Nase“ Premiere. Die Neuinszenierung von Peter Konwitschny stieß bei Publikum und Musikkritik auf große Zustimmung. Im Vorfeld der Premiere veranstaltete die Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden unter dem Titel „Satire, Groteske und Avantgarde“ ein Symposium zu Schostakowitschs frühem Geniestreich, zu dem Bernd Feuchtner einen umfangreichen Vortrag beisteuerte. Der Präsident der Deutschen Schostakowitsch Gesellschaft gibt darin einen ausführlichen Überblick zur Entstehungsgeschichte des Werkes – wobei er auch auf die unlängst in deutscher Übersetzung erschienenen Briefe Schostakowitschs an seinen Freund Iwan Sollertinski zurückgreift – , verortet es in den zeit- und kulturgeschichtlichen Kontext und beschreibt die oft genug lebensbedrohenden Schwierigkeiten, in die ein nach künstlerischer und persönlicher Freiheit strebender Jahrhundertkomponist in einem ebenso autokratisch-autoritären wie menschenverachtenden Regime fast zwangsläufig geraten musste. Ein hochaktuelles Thema also, das durch jüngste Versuche im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen, Schostakowitsch in den Dunstkreis stalinistischer Mittäterschaft zu ziehen, zusätzliche Brisanz erhält. Den Vortrag Bernd Feuchtners können Sie hier kostenlos herunterladen.

Bo Skovhus in der Rolle des „nasenlosen“ Platon Kusmitsch Kowaljow. Foto: Semperoper Dresden


Konzert zum Gedenken an den von russischen Soldaten ermordeten ukrainischen Dirigenten Jurij Kerpatenko

Mit Schostakowitsch gegen den Krieg

Juriy Kerpatenko Juriy Kerpatenko. Foto: Facebook

Das Symphonieorchester der Universität der Künste Berlin setzt gemeinsam mit dem Kammerchor der Künste Berlin und der Mezzosopranistin Marina Prudenskaya unter der Leitung von Steven Sloane am 20. November in der Berliner Philharmonie ein Zeichen für den Frieden. Valentin Silvestrovs Prayer for Ukraine, Gustav Mahlers Kindertotenlieder, Rudolf Mauersbergers „Wie liegt die Stadt so wüst“ und nicht zuletzt Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 8 c-Moll op. 65 sind in Zeiten des Krieges Kompositionen von tragischer Aktualität. Mit dem Konzert setzt das Orchester seinen Mahler-Zyklus in der Philharmonie fort und verbindet dies mit einem eindringlichen Ruf nach Frieden.
Das Konzert findet statt in Gedenken an den von russischen Soldaten ermordeten Chef-Dirigenten der Philharmonie von Cherson Jurij Kerpatenko. UdK-Präsident Norbert Palz: „Die UdK Berlin ist erschüttert von den Berichten über die Ermordung des Dirigenten der Philharmonie Chersons Jurij Kerpatenko durch die russische Besatzung. Das Konzert für den Frieden der UdK Berlin am 20. November in der Berliner Philharmonie widmen wir daher Juriy Kerpatenko.“
Wir leben in einer Zeit des Umbruchs, des Aufruhrs, in Kriegszeiten mitten in Europa. Dass der Frieden immer wieder in Gefahr gerät, liegt nicht zuletzt am Vergessen: Geschichte wiederholt sich – immer wieder. Diesem aktiven Dialog gegen das Vergessen hat sich die Universität der Künste Berlin verschrieben. Das ehemals als ‚Konzert für die Nationen‘ bezeichnete November-Konzert der Fakultät Musik hat nun aus aktuellem Anlass eine neue, dringlichere Zielsetzung – mit dem nationenübergreifenden Dialog im friedlichen musikalischen Miteinander ein deutliches Zeichen zu setzen. Mehr auf der Webseite der UdK:


 

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