Verbindendes und Trennendes
Die Komponisten Dmitri Schostakowitsch und Hanns Eisler haben vieles gemeinsam. Auf den ersten Blick jedenfalls. Beide waren – der eine mehr, der andere weniger – politische Künstler, mit „linken“, sozialistisch-humanistischen Grundüberzeugungen. Beide komponierten im Schatten des Eisernen Vorhangs. Beide galten als die „ersten Komponisten“ ihrer Länder, der UdSSR und der DDR. Und doch wurde bei einer Vortragsveranstaltung in Gohrisch mit anschließender Podiumsdiskussion eher Trennendes als Verbindendes deutlich. Der polnische Komponist und Schostakowitsch-Biograph Krzysztof Meyer brachte es auf dem Punkt: Es gebe beileibe mehr Unterschiede als Parallelen zwischen Schostakowitsch und Eisler. So habe Schostakowitsch ohne zu komponieren nicht leben können. Bei Eisler stand eher das Politische im Vordergrund. Während dieser – zumindest in seiner Schaffensperiode nach 1950 – die Kunstdoktrin des „Sozialistischen Realismus“, als „Weg, den wir gehen müssen“ aus innerer Überzeugung billigte, habe ihn Schostakowitsch beschreiten müssen, weil er dazu gezwungen wurde.
Friederike Wißmann hatte zuvor in ihrem hochinteressanten Vortrag „Eros und Thanatos im Musiktheater von Eisler und Schostakowitsch“ auf einen anderen Aspekt hingewiesen. Anders als Schostakowitsch unter Stalin habe Eisler in der DDR keine Angst um sein Leben haben müssen. Allerdings hatte auch er sich mit Intrigen und der Kleingeistigkeit der Kulturbürokratie auseinanderzusetzen, die ihn zunehmend zermürben sollten. Als Beispiel nannte die Bonner Musikwissenschaftlerin das Schicksal von Eislers Oper „Johann Faustus“. Das von ihm selbst verfasste Textbuch – von keinem geringeren als Thomas Mann hochgelobt – fand vor den ostdeutschen Kulturwächtern keine Gnade. Die teils erbittert geführte „Faustus-Debatte“ gipfelte schließlich im sogenannten Formalismus-Beschluss des SED-Zentralkomitees. Eisler zog sich eine Zeit lang nach Wien zurück, klagte in einem Brief an die Ost-Berliner Staatsführung, dass er so nicht künstlerisch tätig sein könne – und kehrte schließlich wieder in die DDR zurück.
Wißmann beschied Eisler eine gewisse Janusköpfigkeit. Er war überzeugter Kommunist und setzte sich mit Entschiedenheit für den Aufbau des jungen sozialistischen Staates ein. Anderseits wurde er von der DDR-Führung komplett vereinnahmt, was im Arbeiter- und Bauernstaat zu einer völlig selektiven Wahrnehmung Eislers führte. Nur spezielle Werke wurden aufgeführt und rezipiert, ein Großteil seines Œuvres (darunter seine freitonalen, Zwölfton- oder die im USA-Exil komponierten Werke) blieben in der DDR weitestgehend unbekannt. Die Folge war ein gänzlich verzerrtes Eisler-Bild.
Dem pflichtete der bekannte Musikpublizist Bernd Feuchtner bei, der Eisler ein enormes musikalisches Qualitätsbewusstsein attestierte. Nach 1968 habe in Westdeutschland eine starke Eisler-Rezeption eingesetzt. Ein Interesse, das in der Zwischenzeit offenbar wieder abgeflaut ist. Jedenfalls nannte es Feuchtner verwerflich, dass die Orchester die Werke von Eisler nicht aufführten. Die von Moderator Tobias Niederschlag aufgeworfene Frage nach der Zukunft von Eislers Musik beantwortete Feuchtner vorsichtig optimistisch. Letztlich sei dies vor allem eine Frage der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung. Möglicherweise komme Eislers Zeit ja noch, so wie das einst auch bei Gustav Mahler der Fall gewesen war. Ein Gedanke, den Tobias Niederschlag in seinem Schlusswort aufgriff: Vielleicht haben die Schostakowitsch Tage 2016 ja einen Beitrag für die Wieder- und Neuentdeckung Hanns Eislers geleistet.
Karlheinz Schiedel
Einen Beitrag von Jörg Schurig (Deutsche Presse Agentur) über die Vortragsveranstaltung und über die Musik Hanns Eislers finden Sie im Hamburger Abendblatt ►
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