Deutsche Schostakowitsch Gesellschaft e.V.

Dmitri Schostakowitsch, 25. September 1906  ─  9. August 1975

Buchvorstellung. Meinhard Saremba: Britten und Schostakowitsch 

Ein Künstlerfreundschaft im Schatten der Politik

Nach den Büchern zu Elgar/Britten (1994), Janáček (2001) und zu Clara Schumann/ Johannes Brahms (2021) legt nun der deutsche Musikwissenschaftler Meinhard Saremba ein weiteres Komponisten-Doppelporträt vor: zu Britten und Schostakowitsch. Das Wagnis hat sich gelohnt, die beiden aus dem Schatten der Politik zu holen, den englischen Komponisten, Benjamin Britten (1913-1976), in der Zeit des Niedergangs eines Weltreiches und den russischen, Dmitri Schostakowitsch (1906-1975), in der schreckenerregenden Sowjetzeit.

Die 1960 eher zufällig sich ergebende Bekanntschaft, welche über die zeitweise schier unüberwindliche Grenze des Kalten Krieges hinweg zur Freundschaft werden konnte, wird in den verschiedensten Facetten von künstlerischen und menschlichen Bezügen dargestellt; allen Widerwärtigkeiten zum Trotz konnten sie sich sechsmal treffen, sowohl in Aldeburgh wie in Moskau, als auch auf der gemeinsamen Reise in Armenien (Sommer 1965).

Dabei bemüht sich der Autor, die politischen Groß-Ereignisse wie die Kubakrise (1962), den Einmarsch der Warschaupakt-Staaten in die Tschechoslowakei (1968) und die kontroverse Diskussion in Großbritannien um das Festival sowjetischer Musik (1972) in die Auseinandersetzungen um die Entwicklung der Neuen Musik einzubauen, ohne den Fokus auf die beiden Künstler als bedrohte Existenzen zu vernachlässigen. Denn unter diesem Aspekt wurden sie vor und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Komponisten völlig kontrovers beurteilt, und die Diskussionen in Ost und West setzen sich heute unvermindert fort, da beide kaum je der Avantgarde zugezählt werden konnten und ihre Werke deshalb oft unter ihrem Wert be- und abgeurteilt wurden.

Die Überfülle von Zitaten aus englischen und russischen Quellen – in weit über tausend Anmerkungen ausgewiesen – ersetzt oft eine vom Autor erwartete Stellungnahme.  Primär aber geht es ihm nicht darum, die Werke neu zu beurteilen, sondern um die nur teilweise vergleichbaren schwierigen Umstände genauer zu beleuchten, unter denen die Werke entstanden sind. Bei Britten waren es Sozialismus und Homosexualität, bei Schostakowitsch das Changieren zwischen Akzeptanz und Widerstand gegen den «sozialistischen Realismus». Da sich beide Komponisten mit den politischen Ereignissen beschäftigen mussten und dadurch oft, aber nicht immer, ungewollt zu Mitbeteiligten wurden, erforderte dies umfangreiche Recherchen im privaten Umfeld. Der «Bedeutungswandel von Werten und Worten» oder Details zum Kulturaustausch-Abkommen zwischen Großbritannien und der UdSSR im Jahr 1959 führen weit darüber hinaus, eröffnen aber oft Einblick in schon vergessene Vorkommnisse in der Zeit des Kalten Krieges. Solche Überblicksbetrachtungen bergen allerdings die Gefahr, dass die geopolitischen Aspekte, aus der eingeengt kulturellen Perspektive begriffen, einer gesamthistorischen Beurteilung nicht immer standhalten können. Hingegen ist es verdienstvoll, dass der Autor versucht, auch die problematischen Seiten der beiden in die Außenseiter-Rollen gedrängten Individualisten zu beleuchten.

Abschließend ist noch zu erwähnen, dass Meinhard Sarembas Arbeit längst vor den Ereignissen des 24. Februar 2022 beendet war: Das Buch hätte 2019 erscheinen sollen, konnte aber wegen des Verlag-Wechsels erst drei Jahre später publiziert werden.

 

Jakob Knaus

 

Meinhard Saremba: Britten und Schostakowitsch – Ein Künstlerfreundschaft im Schatten der Politik. Osburg-Verlag Hamburg 2022, 518 Seiten, ISBN 978-3-95510-295-1


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