Deutsche Schostakowitsch Gesellschaft e.V.

Dmitri Schostakowitsch, 25. September 1906  ─  9. August 1975

5. Der lange Tod des D. D. Schostakowitsch

Am 12. Mai 1966 überreichte Schostakowitsch Mstislaw Rostropowitsch sein fertiges 2. Cellokonzert. Sechs Tage danach erlitt er einen Herzinfarkt. In allen Werken, die in den folgenden neun Jahren erschienen, steht der Tod im Mittelpunkt. Schostakowitschs Gesundheit war schon länger angeschlagen, erst hatten die Arme nicht mehr richtig funktioniert, dann die Beine. Zu einer klaren Diagnose kamen weder russische noch US-amerikanische Mediziner. Klavierspielen war nur noch privat möglich, für Konzerte konnte er die Anforderungen nicht mehr erfüllen. In seinem Spätwerk setzte der Komponist sich auf einzigartige Weise mit seinem eigenen Leben und mit dem Tod auseinander, der im Land des glücklichen Sozialismus ebenso ein Tabu war wie im Westen für die glücklichen Konsumenten.

Dmitri Schostakowitsch in den 1970er-Jahren. Foto: DSCH Publishers

Sechs Tage, nachdem Schostakowitsch im Mai 1966 Mstislaw Rostropowitsch sein fertiges 2. Cellokonzert überreicht hatte, erlitt er einen ersten Herzinfarkt. Die Werke, die er in seinen letzten neun Jahren schrieb, kreisen allesamt um den Tod. Die elf Gedichte seiner Vierzehnten Sinfonie haben allesamt nur dieses Thema. In der auf die gleiche Weise strukturierten Michelangelo-Suite folgt auf das Gedicht „Tod“ immerhin noch „Unsterblichkeit“. Schostakowitsch hatte Sonette und Gedichte des Renaissance-Künstlers ausgewählt, die mit einem Papst, der aus Kelchen Schwerter schmiedet, scharf ins Gericht gehen. Und wie wichtig ihm das von der Gesinnung her so ähnliche Shakespeare-Sonett Nr. 66 immer noch war, zeigte er dadurch, dass er jene Sechs englischen Lieder von 1943 für Orchester instrumentierte.

Überhaupt wagte Schostakowitsch es nun, wieder mehr auf Texte zu komponieren. Sogar symbolistische Dichtung wie die von Alexander Blok erschien ihm jetzt geeignet, einen düsteren Ausblick auf die Zukunft zu gestalten: Gamajun, der Prophetenvogel, kündet „Hunger, Aufruhr, Tyrannei“, während geheimnisvolle Zeichen sagen: „Ach, ich sehe mein Ende schon winken, und Vernichtung und Krieg werden sein.“ Auch die Dichterin Marina Zwetajewa, die im Stalinismus Selbstmord beging, kommt in einem eigenen Liederzyklus zu Wort. Eines der Gedichte ist der auch von Schostakowitsch verehrten Anna Achmatowa gewidmet, der Dichterin des Stalinterrors. Und mit Zwetajewa hoffte der Komponist: „Für meine Verse, wie für alte Weine kommt noch die Zeit herauf!“

In den Jahren 1971 und 1972 war Schostakowitsch zu krank, um mehr als seine Fünfzehnte Sinfonie zu schreiben. Dort zitiert er Wagners „Todesverkündung“ aus der „Walküre“. Zugrunde lagen ihr Gedanken aus Tschechows Erzählung „Der schwarze Mönch“, die von einem Mann handelt, der einer Erscheinung glaubt, er tauge zum Genie – doch leider wird er kuriert und endet im Mittelmaß. So kreisten auch Schostakowitschs Gedanken mehr und mehr um die Frage, was sein Leben wert gewesen sei und ob seine Musik ihm Unsterblichkeit schenken werde.

Oft genug hatte er sich mit dem Clown identifiziert, dem Witz, der nicht totzuschlagen ist und den Mächtigen kontra gibt. Aber wird ein Clown unsterblich? War er nur der Hofnarr des Regimes und ein mausgrauer Komponist, wie er sich einmal charakterisierte. Diese Fragen gestaltet er in seinen letzten Werken auf hochspannende Weise. In seinem letzten Streichquartett nimmt er Fäden wieder auf, die er in seiner Jugend gesponnen hatte, etwa in den Aphorismen für Klavier von 1927. Schon dort geisterte das Dies irae ebenso durch die Musik wie alte Trauermusikformeln. Sein allerletztes Werk, die Bratschensonate, zitiert Bruchstücke seiner sämtlichen fünfzehn Sinfonien, ohne dass der Hörer das merken könnte. Auch an einen Trauermarsch erinnerte er sich jetzt, den er als Elfjähriger geschrieben hatte, nachdem er während der Revolution hatte mitansehen müssen, wie ein Junge getötet wurde, und auch an ein Klavierstück in Fis-Dur, das er als Neunjähriger komponiert hatte – so schloss er den Bogen über sein Leben.

Bernd Feuchtner

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